Wie ist die Krippe von Lignano entstanden?
Lignano ist eine junges und daher heterogenes Sozialgefüge (die für den Tourismus geschaffene Stadt kann auf eine Geschichte von gerade einmal etwas mehr als einem Jahrhundert zurückblicken) und mausert sich im Sommer zur bevölkerungsreichsten und lebendigsten Stadt Friauls, im Winter zieht sie sich dann in ein Gefühl der Einsamkeit und Leere zurück, das durch die surreale Stadtarchitektur mit ihren plötzlich wieder still und leer stehenden Gebäuden, noch zusätzlich verstärkt wird.
Das Engagement des Freiwilligenvereins Lignano in Fiore Onlus sorgt dafür, dass die “winterlichen” Bewohner in einem Gemeinschaftsprojekt wieder zueinander finden, ein Projekt, das auch über die “künstliche Zeit des Urlaubs” (und der wirtschaftlichen Aktivitäten) hinaus besteht und somit Kontinuität und eine Intensivierung des Gemeinschaftsgefühls beim Fest im Hemingway Park bietet, das erstmals im Mai 1987 vom Verein veranstaltet wurde..
Das Meer im Winter
Man dachte, dass Weihnachten, ein Symbol der Einkehr und Reflexion, des Teilens und der Erneuerung des Lebens, als zündender Funke für ein neues Gemeinschaftsgefühl wirken könnte. Aus diesem Gedanken – und aus der großzügigen Mitwirkung der Gemeinde, den ansässigen Unternehmen und dem guten Netzwerk lokaler Freiwilliger – wurde der Grundimpuls zu Natale d’a…mare, geschaffen, das Lignano im Laufe der Jahre aus der winterlichen Erstarrung erwecken konnte, vor allem dank der symbolträchtigen Sandkrippe die zu einem authentischen Ausdruck der Werte des Friedens und der Universalität im Einklang mit der Wärme und Gastfreundschaft der Küstenstadt geworden ist.
Das erste, zaghafte Weihnachtssymbol in einer noch teilnahmslosen Umgebung, war die kleine kunstvoll aus dem Holz des Grödnertals geschnitzte Krippe, die Lignano in Fiore zu Weihnachten im Jahr 2000 der Stadt schenkte und die in der Mitte des Kreisverkehrs auf der Piazza Fontana errichtet wurde. Aber diese Holzkrippe war noch nicht die Krippe von Lignano: sie verkörperte noch nicht die Essenz ihrer Landschaft. Man spielte sich damals mit dem Gedanken an eine Krippe, die ausschließlich aus Sand und Meerwasser hergestellt wird, den Bestandteilen und charakteristischen Elementen der Halbinsel Lignano.
Eine Krippe und eine Gemeinschaft
Wie Lignano in Fiore wurde auch die Sandkrippe im Zeichen des spontanen Engagements und der Schlichtheit geboren. Zu Weihnachten 2004 und im darauffolgenden Jahr begann man mit einfachen Krippen, die sich auf die wichtigsten Figuren beschränkten, nahezu eindimensional, weil sie nur auf eine zerbrechliche Sandkulisse geprägt waren, die in einer ziemlich wackeligen Blechkonstruktion direkt am Asphalt stand, der so gut wie möglich durch einen blauen Vorhang kaschiert wurde. Die für den Erhalt Skulpturen erforderliche Feuchtigkeit wurde zweimal täglich mit Hilfe von Freiwilligen gewährleistet, die den Behälter mit Wasser befeuchteten und die Krippe mit einer einfachen Pumpe besprühten. Und … wie viele Ängste durchlitten sie beim täglichen Öffnen der Kiste, wenn die ausgelaugten Skulpturen, die aus Mangel an natürlichem Klebstoff bereits fast in sich zusammenfielen, bereits um die für ihren Zusammenhalt erforderliche Feuchtigkeit zu betteln schienen. Um dann im Kontakt mit dem lebensspendenden Wasser wieder aufzublühen!
Natale d’a…mare
Die Anziehungskraft der Krippe in Kombination mit den unglaublichen winterlichen Sonnenuntergängen über dem Meer, vollbrachte das Wunder: so begann sie, die zweite Saison in Lignano nach dem Sommer. Natale d’a…mare zog immer mehr Besucher an, die von Lignano in Fiore und der großen und großherzigen Familie der Freiwilligen in den örtlichen Vereinen herzlich begrüßt wurden.
Weihnachten 2006 markierte einen außerordentlichen Qualitätssprung: Die Krippe ließ den Blechcontainer hinter sich und zog in einen mehr als 250 Quadratmeter großen Raum, der sich direkt am Strand befand und der die Feuchtigkeit, die für den Zusammenhalt der Skulpturen erforderlich ist, auf natürliche Weise sicherstellen konnte. Statt der ersten paar Schaufeln waren es nun über 500 Tonnen Sand, die in mehr als einem Monat ununterbrochenem Engagement von 5/6 Bildhauern, ausgewählt aus den besten Sandkünstlern der Welt, behandelt und modelliert wurden.
Und die Veränderungen zeigten sich sogleich in der unglaublichen Faszination, die die Sandkrippe 2006 auslöste, angesiedelt in einer Welt zwischen Land und Meer in der Lagune von Marano, zwischen Hütten, Sandbänken, Schilfgürteln und niedrigen Booten mit Netzen, die zum Ausbessern aufgelegt waren oder voller Fische aus dem Wasser auftauchten; all das wurde in seiner bizarren Vielfalt detailgetreu dargestellt. Und dann … ein Meer aus Seerosen, Iris, Farnen, dem die Vögel auf ihren Flugbahnen glücklich zu folgen schienen. Besonders einprägsam war die Geburt Christi in einem für die Lagune von Marano typischen Bauwerk, das durch die quadratische Form des traditionellen venezianischen Kamins charakterisiert war.
Einige (unvergessliche) Weihnachtskrippen, die zu den künstlerisch Besten gehören, bleiben noch in Erinnerung. Zum Beispiel die von Weihnachten 2009: zwei enorme Hände öffneten sich, um das Geschenk des Messias darzubringen, der von Joseph und Maria, dessen liebliche Gesichter an Gemälde von Botticelli erinnerten, zärtlich begrüßt und umsorgt wurde. Oder jene von 2011, gebettet in einem zerbrechlichen Fischerboot (die Wiege war eine grobe Holzkiste, in der der Fang gesammelt wird), ein Symbol für die Unsicherheit und Verletzlichkeit von Kindern, die in die auf der Welt fest verankerte Gleichgültigkeit und den Egoismus hineingeboren werden (Symbol für Geld und Macht).
In der Krippe der „Vergebung“ von Weihnachten 2013 umspannen die enormen und weit geöffneten Flügel eines Engels die Hütte , um Maria, Josef und das Kind willkommen zu heißen, und schließlich jene Menschlichkeit zu umarmen, die die Skulpturen als Gesten des Bösen darstellten, inspiriert von den realitätsnahen Figuren der “Sieben Todsünden” (Thema der Krippe), welche durch die Ankunft des Jesuskindes in Gnade neu geboren wurden.
Wie in Casa Cuppiello: «Magst du die Krippe»?
Jahr für Jahr hat Lignano in Fiore die Herausforderung von Eduardo De Filippo im klassischen Weihnachtstheaterstück Casa Cuppiello angenommen: «Magst du die Krippe?». Und mit der gleichen eigensinnigen Sturheit wie der Hauptdarsteller arbeitete und argumentierte man langmächtig an den verschiedenen Editionen, die noch folgten.
Das Geheimnis des zeitlosen Charmes und der Schönheit der Weihnachtskrippe liegt gerade in der feinen Balance zwischen den traditionellen Formen und den Variationen, so dass sie „jedes Jahr anders und dennoch jedes Jahr gleich“ erscheint. Eine Schönheit, die nie Selbstzweck, sondern stets Ausdruck ethischer Werte ist, die sich – wie im Fall der Krippe in Lignano – in konkrete solidarische Taten verwandeln. Ohne diesen ideellen Antrieb würden selbst die schönsten Sandskulpturen zur melancholischen Imitation eines vergänglichen, seelen- und bedeutungsarmen Gardalandes.
Schönheit und Bedeutung
Genau das Gegenteil von dem, was Tausende von Besuchern jedes Jahr zu Weihnachten von der Krippe verlangen: Schönheit und Sinn. Die Äste des Weihnachtsbaums biegen sich unter dem Gewicht der Grußkarten, die von den Menschenmassen aufgehängt werden. Karten, die von Hoffnungen, Erwartungen, Träumen sprechen, aber vor allem Gesundheit, Arbeit, Gesundheit, Liebe, Gelassenheit, Frieden beschwören. Ein stiller Chor von Frauen, Männern, Kindern, denen vielleicht die Schönheit des Meeres und die intensiven Erzählungen der Krippe das Herz zur Hoffnung öffnen oder helfen, Schmerz, Sorgen, Ängste loszulassen…
Millionen Körner Sand … und Solidarität
Die Sandkrippe von Lignano hat im Laufe der Jahre konkrete Hilfeleistungen in schwierigen Situationen und die Unterstützung von Solidaritätsprojekten regionaler, italienischer und weltweiter Vereinigungen und Einrichtungen ermöglicht. So wie viele kleine Sandkörner zum Bau prächtiger Kunstinszenierungen beigetragen haben, so haben sich kleine, aber bedeutende Beiträge von tausenden Besuchern zu einer beachtlichen Summe kumuliert, die vielen Menschen an zahlreichen Orten Hoffnung, Linderung und Schönheit gebracht hat; mit besonderem Augenmerk auf italienische Kinder und einige afrikanische Gemeinschaften. Andere Initiativen waren darauf ausgerichtet, die Erforschung und Behandlung von Tumoren bei Kindern im Burlo-Garofolo-Krankenhaus von Triest oder die vom Erdbeben betroffene Stadt Amatrice zu unterstützen.
Mit den Jahren und zum Erstaunen der Organisatoren lag die Besucherzahl bald bei mehr als 70.000 Personen. Zweifellos gebührt der Dank dem Können der Künstler, die es verstehen, aus Wasser und Sand echte Skulpturen zu schaffen, die eine authentische Poesie erzählen, aber vielleicht ist es auch den Themen zu verdanken, die seit dem Jahr 2016 ihre traditionelle Umgebung verlassen haben, um sich mit aktuellen Ereignissen zu vermischen und Momente der Reflexion über wichtige ethische, kulturelle, ökologische und historische Fragen (Erdbeben, Flucht zum 100. Jahrestag des Ersten Weltkriegs, Migration …) zu ermöglichen. Schließlich, im Jahr 2019, erfolgte die außergewöhnliche – und vielseits bewunderte – Darstellung einiger Passagen aus dem biblischen Buch Genesis in Sand.
«Aber, woraus wird die Krippe gemacht»?
2014 wurde aus einer „Rippe“ von Lignano in Fiore ein neuer Kulturverein geboren, mit einem lächelnden Namen, leicht wie Sand: Dome Aghe und Savalon d’Aur („Nur Wasser und Sand“, die Antwort auf die Frage der Besucher: «Aber woraus ist die Krippe gemacht»?). Der Verein setzt sich aus engagierten Bewohnern aus Lignano zusammen, die sich in den Zauber der Sandkrippe verliebt haben; er hat es sich zum Ziel gesetzt, Kunst und Kultur, die Werke aus Sand erschafft, dem identitätsstiftenden und grundlegenden Element der Stadt Lignano Sabbiadoro, auf allen Ebenen zu fördern.